Mut zur Veränderung

Wie jeden Morgen trank er genau eine Tasse Kaffee mit Zucker, den seine Frau ihm vorbereitet hatte, das war so Routine. Er sah auf seiner Uhr die fortgeschrittene Zeit…er verabschiedete sich von seiner Frau, stieg in den gelben Porsche und fuhr ins Büro. Sie arbeitete als Fremdsprachen-Korrespondentin, kleidete sich stets vornehm, war selbstbewusst und wurde von fast allen als eine Schönheit bezeichnet. Er war, trotz seines jungen Alters, eine Führungskraft der mittleren Ebene, drei Abteilungen unterlagen seiner Verantwortung. Seine Frau war stolz auf ihn. Er war ausgebildet als Wirtschaftsingenieur und seine drei Abteilungen waren ausschließlich mit Informatikern besetzt, auch die Abteilungsleiter waren Informatiker.
Im Büro schaute er aus dem Fenster. Hatte er nicht das Recht, in seinem Leben nach der Sonne zu greifen und über die Stränge zu schlagen? Demnächst fuhren sie wieder nach Sylt, weil in seiner Hierarchie-Ebene fast alle nach Sylt fuhren. Eigentlich hatte er es geschafft, gesellschaftlich gesehen. Aber er war voller Fragen, Fragen über die er mit niemandem meinte sprechen zu können. Und er zweifelte an sich selbst, obgleich ihn doch so viele Schlüsselqualifikationen auszeichneten. Zweifel waren etwas, wofür kein Platz war, was er sich in seiner Position offiziell nicht erlauben durfte, er hatte ja seine Rolle zu erfüllen, zu spielen. Sein Chef benutzte jüngst ein Wort aus der modernen Management-Sprache, einen mehrdeutigen Ausdruck, demnach biete er, der Chef, den Untergebenen einen „Denkraum“; ein Raum bedeutet immer auch gegebene Grenzen und musste er sich einen Raum, also ein Thema vorschreiben lassen, war er nicht in der Lage, sich selbst eine Aufgabe oder eine Fragestellung zu suchen, hatte er keine Neugier? Am liebsten orientierte er sich neu und tauschte sein Geld gegen eine erneute Zeit an der Uni. Er wollte neue Kreise ziehen. Seine Frau arbeitete an einem Flughafen, betreute dort ausländische Fluggäste; unterhalten konnte er sich mit ihr nicht so, dass er davon profitiert hätte. „Man kann nicht alles haben!“, hieß eine Weisheit. War er krank? Noch immer starrte er aus dem Fenster, er sah Bürotürme, in deren getönten Fenstern sich die Sonne spiegelte.

(2.2020)