Die Bildhauerin

Bildhauerin wollte sie sein und Bildhauerin war sie längst. Welch seltene Fügung das ist, wer kennt eine Bildhauerin privat? Welch wertvolles Ereignis das ist, an dem sich Geister hätten erfreuen können! Sie kopierte Stile, zum Beispiel den Stil Barlachs, sie beherrschte die naturalistische Darstellung. Ich kenne ja nur einundzwanzig ihrer Arbeiten. Sie malte und schrieb außerdem Tagebuch. Ihre ersten drei Ausstellungen im kleinen Kreise waren Erfolge! Als sie plötzlich verstarb kaufte eine Geldperson alles auf, weil die Familie eine geringe Wertschätzung hegte für die Arbeiten ihrer Bildhauerin. Eine Schande zwar, aber eine größere sollte folgen: Die Skulpturen landeten auf einem Dachboden der Geldperson und verstauben, wo niemand sie sichten kann.

Es kann nicht wahr sein, dass eine Figur aus dem Bürgertum die Arbeit einer Künstlerin anderen Menschen vorenthalten darf! Was gebe ich dafür einmal Alles von ihr sehen zu dürfen oder eine Skulptur in meinem Raum mein eigen nennen zu dürfen. Wenn ich das Tagebuch in den Händen halten dürfte, es erforschte, ich würde es anpreisen!- Autodidaktisch lernte sie fast alles und wollte noch studieren! Wie weit wäre sie gekommen? Ja ich habe den Eindruck, sie hätte an Rodin herangereicht! „Die Bürger von Calais“ sind einzigartig! Der Künstler lernt, eifert, rackert, kämpft gegen einen Gipfel Widerstände an und eine andere Person sitzt auf Geld und damit auf den Leistungen eines Genies! Wofür rann der Schweiß an ihr? Zwei Kunsthistorikerinnen schweigen, wollen oder können angeblich nichts tun-

(11.2020)