Wenn Sawitzky schreiben sollte, über den II. Dreißigjährigen Krieg…

Hermann Sudermann, Die Frau des Steffen Tromholt, Stuttgart 1927

Krieg!
Also nun war es so weit! Seit Jahren gab es kein Haus, keine Tafelrunde, keine streitende Zwei, die die Schrecknisse dieses unaufhaltsam nahenden Weltuntergangs nicht umständlich ausgemalt und abgehandelt hätten. Wie ein Albdruck, ohne den das Leben nicht mehr denkbar war, lastete er auf den Gemütern.
Die Frage stand nur: Werden wir ihn durchleben oder werden erst unsere Kinder es müssen?
Und nun hatte das Schicksal die Antwort gegeben…
Und Zeitungen folgten: Die Kriegserklärung eine Frage von Stunden…
Ein Tag, eine Nacht – welch eine Nacht!…
Die Straßen menschengefüllt – trotz der Morgenstunde…
Reservisten mit Pappkartons…Frauen mit Kübeln, mit Taschen, mit Mappen, mit allerhand Kram, der schleunigst zu bergen die Kriegsnot verlangte – fahl und übernächtigt fast alle – aber im Auge ein Leuchten, das nur der Himmel verleiht, wenn er als Opfertod zu uns Erdenkindern herabsteigt(…)(S. 436 f)
Der Winter brach herein (1915), und der Reigen der täglichen Siegesnachrichten, mit dem wir Deutsche jahrelang unterhalten werden, tanzte in kaum je getrübten Glanze an den heilsbegierigen Seelen vorüber. Nur geflaggt wurde nicht mehr so viel, und unkende Stimmen fanden sich, die da sagten, das Spiel werde so bald nicht zu Ende sein…
Die Zeit, deren Andenken heute als ein atempressender Alb auf Gemütern derer liegt, die sie, von Begeisterung zu Angst, von Angst zu Begeisterung hin taumelnd, als scheinbar Handelnde durchlebt haben,(…) Scheinbar handelnd, jawohl! Denn jeder glaubte wunder wie hilfreich zu sein, um den Sieg auf unsere Seite zu zwingen,(…), und ahnte nicht, dass alles nur Leerlauf war und das er nichts besseres vermochte, als für seinen Teil das Leiden der Welt ins Ungeheure zu steigern.(S.452)

Und weiter raste der Krieg. Man konnte auch sagen: er schlich.
Denn oft gab es Monate nichts als den täglichen Sieg, auf den niemand mehr achtete, blieb doch alles nachher, wie es vorher gewesen war.
Seitdem die Menschenschlächterei vor Verdun Bankrott gemacht hatte…war es um Deutschlands Siegestrunkenheit für diesmal geschehen.
Nur ein Wunder konnte noch retten!
Und dieses Wunder geschah: Russland verlangte den Frieden…
Ein Seufzer des Aufatmens, der an das Glück kaum noch glaubte, ging durch das hungernde Volk.
Ja, dieses Volk hungerte, wie nur je die Bewohnerschaft einerbelagerten Festung gehungert hatte…
Aber man hungerte willig. Man lies sich das Brot zumessen, bis es kaum noch das Kauen verlohnte, man lachte über den Butterklecks, der nicht das Aufstreichen wert war…
So Schweres litt das deutsche Volk, dass es später viel tückischer Arbeit bedurfte, um ihm dies Leid zu verleiden.(S.458 f)
Wie man endlich ins Leben zurückkehrte – irgend einmal muss es ja doch geschehen sein -, ist keinem…in Erinnerung geblieben, und dieses Leben war hart und verlangte zehnfache Kräfte…aber ein halbes Jahr später gab es gar keinen Generalstab mehr, Waffenstillstand und Revolution hatten ihn in den Rinnstein gefegt.
Die irrsinnige Hetze gegen alles, was als Offizier seine Haut zu Markte getragen hatte, nahm ihren Anfang. Männern, die in hundert Schlachten dem Tode ins Auge geschaut, die vier Jahre gehungert und gefroren, gekrankt und geblutet hatten, ohne mit der Wimper zu zucken, wurden die Achselstücke vom Leibe gerissen wie überführten Verbrechern. In Uniform auf die Straße, hieß jeder Gefahr ausgesetzt zu sein, ohne sich währen zu dürfen, denn sonst hatte der Janhagel einen zerrissen.(S.466 f)
Aber die Welt war ins Hinken gekommen. Für tüchtige Männer gab es kein Fortkommen mehr. Nur Schieber, Schwindler und Beutemacher – Gesindel, das bereit war, dem weissgeblutenden Vaterlande den letzten noch übrigen Tropfen aus den Adern zu saugen – hatten ein Anrecht darauf, beachtet zu werden. Die stürmten zu Reichtum und Macht, während die anderen ratlos am Wege standen, nicht mehr wissend, was Recht heißt und Kraft, und was man selber noch wert war. (S.467)