Erinnerungen an A. Paul Weber zum 10. Todestag

„ACH, SAWITZKY, MIT DEM ALTEN KERL IST NICHTS MEHR LOS,“
SAGTE WEBER BEI SEINEM LETZTEN GESPRÄCH MIT MIR, LEGTE SICH HIN UND STARB KURZ DARAUF. WER WAR A. PAUL WEBER , DER IM NOVEMBER 1980
SO EINFACH VON DANNEN GING ?

Weber ist 1893 geboren-Kaiserzeit, Hochzeit der deutschen Kultur mit allen ihren Widersprüchen, sozialer und wirtschaftlicher Wandel, erst Landflucht, dann Stadtflucht (Wandervogel), erst Friédenszeit, dann Krieg, Jugend im Aufbruch in eine neue Zeit; Weimar-Demokratie, Zersetzung, Zerrüttung, fast Bürgerkrieg, Massenarbeitslosigkeit, labile Regierung, verfeindete Brüder, gespaltene Nation, Heranreifung zum Erwachsenen und Familiengründer, Weber ist 40 im Jahre 1933. Die braune Flutwelle erfaßt das deutsche Volk, Begeisterung auf der einen Seite, Ablehnung auf der anderen, Anpassung oder Abdrängung in den Untergrund, Verfolger und Verfolgte, Denunziantentum, Opportunismus oder Widerstand, Krieg nach innen, Krieg nach außen, Bombenmächte und Entbehrung, Zusammenbruch. Weber ist 1945 über 50 Jahre , ein halbes Jahrhundert voller Irrungen, Wirrungen, auf der Suche nach dem Wohin? Schlechte Zeiten folgen nach der Befreiung oder Niederlage, nicht genug Nahrung, fast keine Mobilität, wertloses Geld, wie das Leben so spielt. Verantwortung zeigen für die Vergangenheit oder ein Mißverständnis? Sechs Jahrzehnte hat Weber auf dem Buckel, als der wirtschaftliche Aufschwung und die Demokratie hier im Westen so richtig einsetzen; nicht mehr deutsches Reich, nicht mehr Deutschland, sondern einfach BRD nennt sich das Gebilde, das übrigbleibt vom Ganzen. Wie soll man das verstehen? Wirtschaftswunder: aus schlanken, abgemagerten Menschen werden fette. Konsumrausch, Autos, Staus auf Straßen, Zersiedlung der Lanfschaft, Traum vom vereinigten Europa, Politskandal in Bonn durch den Spiegel. A.Paul Weber wird nun siebzig, ein alter Mann, verbraucht, glaubt man. Doch so nicht bei Weber. Aktiv und kritisch beäugt er die Umgebung, gleich einem Kauz, hält mit spitzer Feder die Ereignisse für immer fest. Studentenaufruhr, Regierungswechsel, Heinemann wird Präsident, Liberalisierung, Ostverträg. Weber geht nun auf die achtzig zu und immer noch aktiv. Nach Ölkrise und Massenarbeitslosigkeit, Vertreibung des Schahs, verkommt Bonner Politik zur bloßen Verwaltung, Dahinsterben von Webers Generaation. Da blüht der Künstler in Weber noch einmal so richtig auf und schafft hervorragende Blätter, bis er selbst das Alter ganz plötzlich spürt, sich nicht aufbäumt, sondern „den Vorhang zuzieht“, wie die Bachmann sagt, da folgt „Applaus“. Die Lebensspanne A.Paul Webers von 87 Jahren erscheind nichts Besonderes zu sein, jedoch ein wesentlicher Unterschied zu fast allen anderen Menschen besteht: A. Paul Weber in Künstler, ist Zeichner und Maler, und was aus seiner Feder floß, ist historisches Dokument, gezeichnetes Tagebuch, nicht immer objektiv, aber wie auf einer Kette werden die Perlen der Zeitgeschichte, ob national oder international aufgereiht.Oft wird sie vorweggenommen, oft nicht leicht erkennbar für den Laien, jedoch für den Fachmann kein Buch mit sieben Siegeln.
Wie in der Malerei Weber seine Vorläufer in van Gogh und Hodler sah, beides Einzelkämpfer und keiner der damaligen Kunstrichtungen zuzurechnen, so betrachtete er, Weber, sich in seinen Zeichnungen als Nachfahre Goyas, Grandvilles; Daumiers. Aber die Themen werden neu gestaltet, mit eigenem Biß, dem Weberschen. Webers Zeichenwerk hat mit den Zeitzeugen seiner Zeit, Barlach, Zille, Kollwitz, wenig gemeinsam. Weber war kein oder nicht nur Sozialkritiker oder Milieuzeichner. Seine Themenwahl umfaßt globale Aspekte, Momente, Situationen, Schwächen und Gegebenheiten, die mit Hilfe seiner Karikatur die Vergangenheit, Gegenwart bis in die Zukunft projeziert, das Ergebnis zu einer Geschichte werden läßt. Eine Interpretation jedes Blattes wäre unerläßlich, jedoch kaum machbar bei der Fülle seines Werkes, auch dann nicht, wenn man die gelungenen von den weniger gelungenen aussortieren würde. Das zeichnerische oder graphische Werk Webers läßt sich nur in Themenbereiche unterteilen, um eine gewisse Ordnung zu erhalten. Macht man es, erkennt man sehr schnell, daß Weber sehr häufige Themen beaarbeitet hat, die viele Jahre später Wissenschaftler und noch viele Jahre später die Presse und somit die Gesellschaft aufgegriffen hat.
Als Beispiel dafür soll hier die Umweltthematik dienen. Erste Blätter sind in den %0er Jahren erfolgt: „Der sterbende Hecht“, „Nach uns die Mutation“, „Das letzte Pferd“, „Blick in die Zukunft“, „Frühlingssehnsucht“, „Der Tanz ums goldene Kalb“. Zu dieser Zeit dachte kein Mensch an Umweltschutz bzw. an Umweltprobleme. Der Mensch war in dieser Zeit so richtig im Wachstumsrausch, Wohlstandsmüll und Wohlstandsfett, im Wirtschaftswunder.
In den 60er Jahren erscheinen weitere Blätter, die das Umweltthema noch kritischer behandeln, denn jetzt schloß Weber die sozial-ökologische Komponente mit ein. Diese Blätter können nach dem Thema „Totentanz“ zugeordnet werden: „Die Glanznummer“, „Die Herren der Schöpfung“, „Kosmetik“, „Wehe, wenn sie losgelassen“, „Krebs“, „Tote Vögel“, „Sie wissen nicht, was sie tun“, „Dünger“, „Der Astronaut“, „Die apokalyptischen Reiter“, „Hunger“, „Eß mehr Obst“, „Ölpest“, „Zigaretten“, „Was essen und trinken wir“, „Liebespaar an der Costa Brava“.
Hier erkennt ein wacher Geist die Gefahren, die durch Notwendigkeiten unserer sozialen Marktwirtschaft für die Natur entstehen, wenn auch zum geglaubten Nutzen der Allgemeinheit, damit die Lebensqualität der Bevölkerung steigert, verbessert werden kann. Weber registriert die ersten Anzeichen der Naturreaktion und erhebt den Widerstand der Natur gegen die Eingriffe des Menschen zu seinem Thema, will aufrütteln, anklagen und zur Mäßigung mahnen. Jedoch ist es erst 5 vor 12; der Club of Rome hat eben erst „die Grenzen des Wachstums“ aufgezeigt, Wissenschaftskram.Sandner in Hamburg hebt manchmal den Finger in seiner Wirtschaftsgeographie-Vorlesung vor zu starker Ausbeutung und Verschleuderung der natürlichen Ressourcen usw. Spinner und Miesmacher-die Bevölkerung konsumiert weltweit, nur die Ärmsten haben nichts, was sie konsumieren können, sie nehmen sie die unberührte Natur, die zu dieser Zeit noch nicht auf dem Speisezettel der Konzerne steht, aber schon im Notizbuch.
A. Paul Weber, der ewige Mahner, hier im wahrsten Sinne des Wortes, arbeitet am Umweltthema unbeirrt weiter, obgleich die Zeit dafür noch nicht reif ist, das Publikum solche „Kunst“ nicht wünscht, seine Blätter deshalb unverkäuflich bleiben. Jedoch, Weber war und ist nie ein Opportunist gewesen, er wäre nicht Weber, nicht er selbst, wenn er auf halber Strecke aufgegeben hätte. Deshalb ging er seine einmal eingeschlagenen Weg , den er für richtig hielt, weiter: „Guten Alles Gute kommt von oben“, „Aus der Retorte“, „Melancholie“, „Da geht sie hin, die gute alte Zeit“, „Guten Appetit“, „Die Angst regiert“, „Im Dom-Cafe“, „Immer rin mit der Schiet“, „Holzfäller“, „Die Paragraphen-Schlüpfer“, „Rauschgift“, „Unrat“, „Die toten Fisch“, „Botanik 2000“, „Die Erschließung“, „Trautes Heim“, „Mensch“, „Der Pleitegeier“. 1973 aufgeschreckt durch die „Ölkrise“, reagiert die wohlhabende Welt, nicht si sehr wegen der Umwelt, diese Maßnahmen bleiben halbherzig und reine Kosmetik, nein, wegen ihrer Profitsucht: es muß gespart werden! Wo? Wer? Der Verbraucher muß den Riemen enger schnallen, nicht die Konzerne, denn die Produktion muß weiterlaufen. Jedoch im Volke tut sich was. Der Staat fühlt sich verantwortlich, ganz plötzlich, für die Umwelt und was so dazugehört, vage Vorstellungen. Ausstellungen müssen her! Wo sind die Künstöer? War da nicht so ein Spinner, ein Außenseiter, der weitab vom Marktgeschehen die Umweltprobleme bearbeitet hat? Wie heißt er? Weber? A.Paul Weber? Nie gehört! Macht nichts, her mit dem Narren, denn „wie sagen wir es dem Volke“: durch Kunsst.
Die A. Paul Weber-Ausstellung: „Denn sie wissen nicht was sie tun…“ lief im Jahre 1975 über Bremen, Hamburg durch die BRD im Auftrage der Landesregierungen.

(Aus: Nord Magazin, Nr.3, 1990, 2. Jg,)