A. Paul Weber – oder die Kunst einen kritischen Kalender zu erstellen

Es ist nicht gedacht, eine Biographie oder Monographie Webers zu schreiben, auch nicht daran, sein Werk einer breiteren Öffentlichkeit verständlich zu machen – dessen bedarf es nicht.Diese wenigen Zeilen sollen einzig den Zweck erfüllen, Weber zu seinem Todestag, er verstarb 1980, nachdem er drei wichtige Anliegen noch verwirklichte:

1.Der kritische Kunstkalender 1981,
2.Das graphische Werk 1930 – 1978 verlegt bei Schirmer/Mosel 1980, neubearbeitet nach dem Katalog zur Ausstellung anläßlich des 85. Geburtstages (ohne Nicolin Texte)
3.Illustrationen zur Spiegel-Serie: Begrabene Illusionen – Erfolge und Scheinerfolge der Medizin., August/September 1980,
sich an ihn zu erinnern und für eine 10 jährige Zusammenarbeit, die ohne Reibungen voll Harmonie gewesen war, zu danken – eine Erinnerung an A.Paul Weber, unvollständig und ohne Pathos.

Die Lebensspanne A.Paul Webers von 87 Jahren erscheint nichts Besonderes zu sein, wer hat nicht Großeltern, die nicht auch zur gleichen Zeit gelebt bzw. die Zeit erlebt haben, jedoch ein wesentlicher Unterschied besteht:
A.Paul Weber ist Künstler, ist Zeichner und Maler – und was aus seiner Feder kroch, ist historisches Dokument, gezeichnetes Tagebuch-nicht immer objektiv, aber auf einer Kette werden die Blätter Zeitgeschichte, ob national oder international, aufgereiht, oft wird sie vorweggenommen, oft nicht leicht erkennbar für Laien, jedoch für den Fachmann kein Buch mit sieben Siegeln.
A.Paul Weber blieb ein Kind seiner Zeit, bis sein Geist genug Anstösse von seiner Umgebung aufgenommen hatte, um die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.Sehr früh erkannte er seine Begabung in Zeichnung und Malerei, seine rasche Umsetzung von Gelesenen ins Bild:“Die Bilder liefen wie im Film bei mir im Kopfe ab“, wie Weber es selbst formulierte, „ich empfand die Begabung als Gnade und Fluch sogleich.“ Was er damit ausdrücken wollte, werden wir noch sehen.
Weber war geprägt durch seine Zeit: Die politischen Zeitströme nahmen Weber gefangen, nicht aber die vielseitigen künstlerischen Stilrichtungen um die Jahrhundertwende.Künstlerisch blieb Weber beim Realismus mit einer Hinwendung zum Expressionismus. Eine Ausbildung an einer Kunstschule fing er zwar an, beendete sie aber nicht, er war als Zeichner und Graphiker weitgehend Autodidakt. Beim Malen durchlief Weber eine ähnliche Entwicklung, nur das er hier privat sich mit der Malerei Ferdinand Hodlers intensiv auseinander setzt, sodass Weber von den Kunstkritikern „der kleine Hodler“ genannt wurde. Die schwere Pinselführung Hodlers, wobei die Linie als Umriss von Figuren oder Landschaftsformen dient, bleibt bei Weber stets Stilelement in der Malerei, obwohl sie später abgeschwächt wird.
Den politischen Zeitströmungen gemäß beteiligte Weber sich an der Wanderjugend, hinaus in die Natur und quer durch Deutschland. Seinen Unterhalt verdiente Weber sich durch sein zeichnerisches Können, das in Form von Graphiken -hier Holzschnitt- umgesetzt und dem Publikum zum Kauf angeboten wird. Eine grosse Hilfe fürWeber waren die bündischen Vereinigungen, die für ihren Feldzug reichlich illustrierte Publikationen und Bilderfolgen herausgaben. Das Geld strömte nicht reichlich aber stetig und Weber konnte seine Wanderschaft durch das deutschsprachige Europa fortsetzen und gewann durch dieses Auf-sich-selbst-gestellt sein, Erfahrungen und Verbindungen, die für sein späteres Leben -Weimar und Drittes Reich- entscheidend werden sollten. In diese Zeit fiel auch seine Orientierung an Hodler.Während Weber seinen Stil -den Realismus- fast sein ganzes Leben beibehielt, nur seine Technik und sein Sujet wird er ändern -Lithographie statt Holzschnitt- dynamische Karikatur statt statisch wirkenden Historismus- blieb sein Geist bis in die 30er Jahre für alles Neues aufgeschlossen, wurde von seinem Umfeld beeinflußt, geprägt, gefordert, oft gedrängt Farbe zu bekennen -bündische Jugend bis hin zu Ernst Niekisch. Erst Anfang der 40er Jahre war er so weit, dass er ohne geistige Väter sein Werk fortsetzen konnte.
Geistige Väter, die seine Themenwahl beinflussten, gab es sie in dieser Form für Weber? Hat Weber Farbe bekannt, wenn er Bücher illustrierte für Gruppen, die national eingestellt waren, so dass der Schluß zulässig wäre, Weber sei auch national eingestellt gewesen?
A. Paul Weber hat diese Schlussfolgerung stets bestritten und darauf verwiesen, dass hierin der Fluch seiner Begabung, oder wie er es selbst empfand, seine Gnade, zeichnen zu können und Spass daran zu haben, liege.
Denn die Bekanntschaften, die er im Laufe seiner Wanderung machte, waren durch den Zufall geprägt, sie erkannten in Weber den begnadeten Zeichner, waren begeistert von seinen Arbeiten, kauften und gaben ihm Aufträge und Weber sagte zu, weil es ihm Spass machte zu zeichnen, denn dazu fühlte er sich berufen, das konnte er und zwar besser als andere. Und natürlich brauchte er Geld, um sein unstetes Leben der Wanderschaft fortführen zu können, da war ihm jeder Auftrag recht. Hinzu kam noch, dass Weber 1920 geheiratet und sehr schnell eine Familie gründete, die versorgt werden musste.
Geistig bzw. politisch legte sich Weber durch seine Auftragsarbeiten nicht fest, er verstand sich politisch neutral, er registrierte zwar, beschnupperte und beäugte die politische Szene der Weimarer Republik und kochte daraus sein eigenes Süppchen, aber zu dieser Zeit ist es noch nicht möglich durch seine Werke, seinen politischen Standpunkt auszumachen: er ging nicht konform mit seinen Auftragsgebern, Aufträge sind Aufträge, sie sicherten seinen Unterhalt. Seine wirkliche künstlerische Arbeit lag in der kritischen Betrachtung der Zeitgeschichte, die aber nur wenig Geld abwarf, da die Zeit gegen ihn war: Zeichnungen, die in Zusammenarbeit mit Ernst Niekisch enstanden, gerade gegen den Nationalsozialismus gerichtet.
Ja, und hier liegt wirlkich der Fluch der Gnade, denn die Kritiker nach Beendigung des Dritten Reiches sehen nur Webers Gesamtwerk und dazu zählen sie natürlich auch die Auftragsarbeiten und bewerten diese wesentlich höher als die anderen Blätter, die zur gleichen Zeit enstanden und unterstellen Weber Mitläufertum, Opportunist oder sogar bzw. strammer Anhänger der Nazis gewesen zu sein.
Was wird A.Paul Weber vorgeworfen?
-Er habe naiv und unkonrolliert alle Aufträge ausgeführt,
-in seinen Themen antijüdische Typen benutzt, die auch der Stürmer benutzt hätte,
-sich in die Propaganda der Nazis einspannen lassen.
Weber hat zu diesen Vorwürfen niemals öffentlich Stellung genommen, nur im kleinen Kreis seiner Freunde oder unter vier Augen hat er sich geäussert, stellte dabei immer heraus, dass er in erster Linie Zeichner sei, dem es Spass machte, zu illustrieren.
Nicht der Inhalt des Buches, sondern die Zeichnung, sein Werk, stand für ihn im Vordergrung: Ob diese Einstellung Naivität oder Künstlern eigen ist -man denke an Agnes Miegel-siehe auch Richard Strauss- soll hier nicht untersucht werden. Weber hat sich über die Vorwürfe der Kritiker sicherlich geärgert und machte seinen Unmut Luft, indem er seine Meinung in Lithografien festhielt.
Die Kritiker sehen nicht Webers Freude am Zeichnen, nicht das wirtschaftliche Müssen -sie bissen sich fest an ihren Aussagen, Vorurteilen, oft von anderen übernommen, zum Teil aus Scham des eigenen Versagens, selbst nichts unternommen zu haben, vielleicht, weil sie selbst Mitläufer oder überzeugte Nazis waren? Die Kritiker verspritzten Gift und verspritzen es noch heute, zetern und lehnen sein Werk ab -die eine Generation geht, die neue übernimmt unkritisch die Meinung der vorherigen.
Ob die Kunstgeschichte damit Weber gerecht wird-warten wir es ab?
A.Paul Webers relativ frühes Bekanntwerden in der bildenen Kunstszene des Deutschen Reiches in den 20er Jahren ließ ihn die Bekanntschaft mit Ernst Niekisch machen- Herausgeber von 2 Zeitungen bzw. Zeitschriften, in denen Niekisch für seine politischen Ziele stritt: Widerstand und Entscheidung. Niekisch, eine herausragende politische Gestalt der Weimarer Republik, erkennt Webers künstlerisches Talent und nahm ihn 1928 als Graphiker in seinen Verlag auf, später wird Weber Mitherausgeber im Widerstand-Verlag.
Weber entwirft für Niekisch´s „Hitler-ein deutsches Verhängnis“-Jahre vor der Machtergreifung der Nazis -hervorragende Zeichnungen, wie „Das Verhängnis“, „Die feindlichen Brüder“, „Das Ende“, Zeichnungen mit prophetischen Inhalt.
Diese Freundschaft dauerte bis 1937, bis die Nazis Niekisch ins Gefängnis warfen. Weber selbst wurde verhaftet und konnte Erfahrungen in nationalsozialistischen Gefängnissen sammeln: Fuhlsbüttel/Hamburg und Landbergs, dort wo Hitler selbst einmal eingesessen hatte. Aus dieser Zeit stammen Ideen des „Gefangenen-Zyklus“ und „die Schachspieler“, die in den 60er und 70er in die Realität -Lithographie- umgesetzt wurden.

1936 lernte Weber Johannes Böse kennen, ein gestandener Gewerkschaftler und Kunsstkenner. Böse ist Mitbegründer der Griffelkunstvereinigung. Diese Bekanntschaft sollte für Weber später sehr wertvoll werden. Denn 1937 verlor Weber seine Plattform, den Widerstand-Verlag -und damit die Möglichkeit, seine Kunst und seine Fähigkeiten einem großen Publikum darzubieten. Hatten die Nazis einen Künstler erst ein Mal auf der schwarzen Liste, war es schwierig sich in Deutschland Gehör zu verschaffen. So kam für Weber die Bekanntschaft mit Böse zur rechten Zeit, denn Weber konnte ab 1939 für die Griffelkubst-Vereinigung Graphiken entwerfen, die den Mitgliedern zur Ziehung angeboten wurden. Zweierlei bot die Griffelkunst dem Künstler:
-regelmäßige Ausstellung,
-regelmäßiges Einkommen.
Der Griffelkunst-Vereinigung blieb A.Paul Weber eng verbunden.

Der Zweite Weltkrieg -Weber zieht von Thüringen nach Schretstaken/Schleswig-Holstein- brachten, wie für fast alle Künstler so auch für Weber Entbehrungen mit sich, Materialien waren schwierig zu erhalten, und schnell, sehr schnell geriet man im Dritten Reich in die Mühlen der Propaganda, sträubte man sich als Künstler mitzumachen, sah man sich an der Front wieder. So erging es auch Weber. 1940 hatte noch Weber die Möglichkeit, die alljährliche große Gruppenausstellung in Berlin mitzumachen, wo er kritisch-satirische Lithographien. -“Warten auf das Fallen“ oder „Die schwarze Ziege“- ausstellt:
die Nazis erkennen nicht die in Webers Blättern enthaltene Ironie, nur das Publukum, wie gesagt wurde, erkannte den Sinn, teils entsetzt, teils lächelnd. 1944 erhielt Weber eine Einladung von Goebbels nach Berlin. Dort traf er viele Künstler, auch die von Simplicissimus. Goebbels versuchte die Künstler für die Nazi-Propaganda und Durchhalteparole zu gewinnen, was jedoch ein großer Teil der Künstler ablehnte, so auch Weber. Die Künstler stellen nur fest, dass sie fast alle schon einmal in Nazigefängnissen bzw. KZ gesesen hätten und teilten dieses smart lächelnd Goebbels mit, der mit einem Witz, „dann kennen Sie ja schon unsere Gastfreundschaft,“ /nach A.Paul Weber), antwortete. Goebbels war aber enttäuscht und viele Künstler, darunter auch Weber, sahen sich an der Front wieder…

Gleich nach dem Kriege setzte die große Hetzkampagne gegen Weber ein. Was war geschehen?
Weber hatte 1939/40 einen Zyklus von Lithographien entwirfen, den „Reichtum der Tränen“, der auf den Schrifttum von Swift, Dafoe, Engels u.a. beruhte. Diese Lithographien wurden in einem nationalsozialistischen Verlag als „Britische Bilder“ herausgebracht und zu Propagandazwecken gegen das britische Königreich benutzt. Da England zu den Siegern zählte und einige Deutsche durch ihre Kritik an ihren eigenen Landsleuten -denn Engländer waren es nicht, die Webers Werk verdammten- sich Liebkind bei den Siegern machen wollten oder vielleicht ihre eigene mangelnde Zivilcourage während der Nazi-Zeit verdecken wollten, wurde die alte Suppe von 1941 wieder aufgekocht und in aller Breite viele Jahre lang plattgewalzt, wohl gemerkt, es waren nicht ehemalige jüdische Mitbürger, die sich vielleicht von Stürmermanier von einem Blatt Webers verunglimpft fühlen konnten, von dieser Seite kam der Sturm erst viele Jahre später.
A.Paul Webers Arbeit und seine Würdigung als anerkannter Künstler wurden durch die Hetze und Schmähungen um Jahre hinaus verzögert und alles was Weber mit Mühe im Laufe seines Lebens aufgebaut hatte, wurde in Frage gestellt, Einige Lithographien aus dieser Zeit zeigen autobiographiscge Züge, wie z.B. das Blatt „Es ist zu spät“ oder das Ölbild „Der Maskenkarren“, beide Werke zeigen Weber in depressiver Verfassung, im ersteren den Selbstmord darstellend.
Zurück zum Zyklus „Reichtum aus Tränen“, der, dieses müssen sogar seine schärfsten Widersacher einräumen, zu den interessantesten Werken, neben „Hitler ein deutsches Verhängnis“, „Schachspieler“, „Totentanz“, „Gefangenenzyklus“, „Denn sie wissen nicht, was sie tun“ und etlichen Einzelblättern, zählt. Blättert man heute in dem Buch herum, sieht man den ganzen historischen Verfall des britischen Empires, Zug um Zug, Zeitraum für Zeitraum bis in die Gegenwart. Außerdem wird eine Rückblende vorgenommen, die dem Betrachter zeigt, worauf die Größe Englands aufgebaut war und dann die Hinwendung zur Zukunft. Nur einem, der voll in der Materie drin steckte, war es nöglich, solche Blätter mit so einer Aussagekraft zu gestalten. Durch dieses Werk „Reichtum aus Tränen“ hat Weber gezeigt, dass er keine geistigen Väter -sieh Ernst Niekisch- mehr benötigte, er hatte sich freigeschwommen und war in der Lage seinen künstlerischen Weg selbst zu gestalten.
Weber zog Konsequenzen: jede Lithographie, die entsteht, wird im Stein datiert und jede Zeichnung oder Skize wird mit Datum und Titel versehen; außerdem wird jede Buchveröffentlichung von Weber finanziert. Diese Vorfinanzierung hat den Vorteil, dass Weber bis zur Drucklegung über Text und Bild bis zum Schluss ein- und mitreden konnte. Ab 1959 erschienen Webers neuesten Lithographien, -in den ersten Folgen zum Teil auch noch Zeichnungen- im „Kritischen Kunstkalender“, der alljährlich bis zu seinem Tode im 23. Jahrgang 1981 in der Clan Presse erschien,

Ach, ja, Webers „Kritischer Kunstkalender“, er war Webers Lieblingskind. Alle Jahre wieder, gleich nach der Frankfurter Buchmesse, wo der neueste gerade vorgestellt wurde, der im letzten Augenblick durch Tag- und Nachtschicht fertiggestellt worden und dann als Einzelexemplar auf der Messe zu betrachten war, wurde am nächsten Jahrgang schon gebastelt, denn das nächste Mal sollte der „kritische Kunstkalender“ auf der Buchmesse fix und fertig gedruck vorliegen, so dass auch Privatleute ihn gleich kaufen und mitnehmen könnten. Jedoch es blieb in der Regel bei dem Vorsatz,denn auch der nächste „Kritische Kalender“ wurde erst nach der Messe gedruckt.
Was ist der „Kritische Kunstkalender“ und wie entstand er?
Der Kalender enthält 27 Lithographien aus dem zurückliegenden Jahr, die von A.Paul Webers reichlichem Jahresschaffen nach Themenkreisen für den Kalender ausgesucht werden mußten. Hierin lag bereits die Schwierigkeit, denn der Ausstoß von neueren Lithographien pro Jahr lag bei Weber oft um ein Vielfaches höher: zwischen 60-90, die, wenn ich, wenn ich ehrlich zu mir selber bin, von sehr unterschiedlicher Zeichnungsqualität waren. Nun ein Künstler, der seine Werke erstellt und jedes Mal sein bestes Können hineinlegt,sieht natürlich die unterschiedliche Qualität nicht und kann die Spreu vom Weizen nicht trennen, obgleich zumindest Weber sich immer bewußt war, dass nicht alles, was ein großer Geist produziert, auch großartig sein muss. Nur, was genau gut oder nicht gut, vielleicht auch mißraten war, das zu beurteilen war Weber selber und nicht nur er, unfähig zu beurteilen. Er überließ es anderen, aus seinem Schaffen das gute herauszusuchen, einen ganzjährigen Kampf der Überzeugung mit ihm zu führen, den er mit sich selbst nicht führen konnte.

War dieser Vorgang der Qualitätsfindung zunächst beendet, begann die zweite Etappe: die Suche nach den Texten. Zum Teil hatte Weber Lithographien erstellt nach gelesenen Zeitungstexten und nach Berichten aus Zeitschriften oder Periodika, zum Teil nach Büchern, Aufsätzen, die er im Laufe des Jahres gelesen hatte -und Weber hat viel gelesen, immer Nachts, wenn er nicht einschlafen konnte, oft stundenlang. Diese Texte mußten erst wieder gesucht werden und das bei Webers genialer Unordnung, wo alles,ob Korrespondenz, Skizzen, Schecks, Quittungen, Bücher und Mitbringsel wahllos zu einem großen Haufen sich in seinem Reich auftürmte -nur zu oft blieb die Suche ohne Erfolg. Dann erfolgt die Suche nach den restlichen Texten, die aus einer schier überwältigenden Literatur herausgepickt werden mußte, was ein ständiges Lesen, Stöbern und diagonales Suchen der bereitliegenden Bücher bedeutete.
War nun endlich alles zusammengestellt, was einige Wochen beanspruchte, kam das Problem der Neuauswahl von Lithographien, denn Weber war in der Zwischenzeit nicht untätig geblieben, neue Ideen waren ihm gekommen und sie lagen als Graphiken schon vor. Wieder mußte der Kampf um jedes Blatt neu geführt werden und je nachdem, wer im Kampf unterlag, mußten Text neu gesucht werden. Jeder, der bei Weber eine Zeitlang mitgearbeitet hat, weiß, dass es viel Spaß gemacht hat, aber auch genausoviel Nerv gekostet hat, Frau Dr.Legrady und Katharina Hoffmann können mit mir dreistimmig davon singen.

Der Leser könnte nun den Eindruck gewinnen, Weber sei ein Chaot gewesen oder auch ein Perfektionist -beides war er, in seinem Sinne, in seinem Reich, in seinem Atelier, wo Weber seine zeichnerischen Ideen umsetzte -für Ölmalerei hatte er einen zweiten großen Raum zur Verfügung, wo er auch schlief und der nie beheizt wurde, im Gegensatz zum Atelier, wo der Kamin das ganze Jahr brannte,auch genoß man es im Sommer am Kamin, den Geruch des Holzes einzuatmen.
Das Atelier zeugte von der genialen Unordnung Webers, die Sitznische mit dem Tisch, wo alles gestapelt wurde, was seine Schwägerin, die in der Regel zwei Mal jährlich für einige Wochen zu Besuch kam, aufarbeiten mußte, der Fußboden bedeckt von Häufchen von Lithographien und Zeichnungen, die gerade von Ausstellungen zurück kamen, oder die sein Sohn Christian frisch auf der „Clan Presse“ gedruckt hatte, -auch dienten die Häufchen dazu den häufigen Besuchern, fertige oder halbfertige Lithos- Weber überzog alle Lithos mit einer speziellen Walzschicht, die in Handverfahren von ihm sekbst vorgenommen wurde und dann mit dem clan-Stempel versehen wurde – vorzuführen, um sich einige Lithos vormerken zu lassen, die sie besitzen wollten, damit die Besucher auch ja gleich wieder gehen würden.
Über alle diese Häufchen mußte man hinwegsteigen und es war mehr ein Hüpfen, Springen und geschicktes Ausweichen der Hindernisse , wollte man nicht auf die Lithos treten, was nicht immer so richtig gelang. So kam es zu den Atelierspuren auf den Graphiken und Zeichnungen, die in seinem Nachlass liegen, denn A.Paul Weber gab nur Graphiken in den Handel, die einwandfrei waren.

Gleich am Eingang, nachdem man die kleine Niesche passiert hat, war seine Bücherecke -als Mittelpunkt diente ein selbstentworfener Schrank, der eingerahmt wurde durch Büchersäulen, die ausgehend vom Fußboden bis über die Höhe des Schrankes ragten, die Tiefe ließ sich nur ahnen.
Genau gegenüber standen die Zeichnungenschränke, die in der Regel offen standen, unzählige Schubladen unterschiedlich weit herausgezogen und Graphiken zum Teil ausspuckend – wie ein gefrässiger Moloch aussehend. Dazwischen am Fenster saß der Meister an seinem Zeichentisch, saß nicht, ritt mehr, denn die Sitzgelegenheit hatte mehr das Aussehen eines Sattels, ab und zu rauchend, Zigarre oder einen Glimmstengel vom Besucher, der aber schwarzen Tabak haben mußte oder nachdenkend und überlegend: ist das Thema deutlich und klar herausgekommen, habe ich mich verzeichnet, wie könnte ich es besser machen?
Hierin lag Webers Perfektionismus: sein Werk durfte keine Fehler aufweisen.
Dieser Perfektionismus, dieses „es besser machen müssen“, führte bei Weber zu einer Unmenge von Blättern, die das Kunstpublikum nie zu Gesicht bekamen, die sich in den Schubladen häuften, oft in Mappen zusammengefaßt, wie die Illustrationen zu Münchhausen oder Goethes Reinecke Fuchs.
Später hat Weber, als er über 60 war, eine andere Lösung zur Ausmerzung seiner kleinen Fehler bei Zeichnungen oder Lithos benutzt, -jetzt zeigte er seine Liebe zum Detail, er machte daraus reine Spielereien oder wie er selber formulierte, „hieraus wird ein Würmchen, hieraus machen wir ein Geschwür, hm, schön eklig, nicht wahr.“ Diese Art, seine Fehler zu korrigieren, fand ich akzeptabler, denn, wenn die ganze Fassung, zwei, drei und noch öfter wiederholt wurde, war oft der Schwung, die Dynamik, der interessante Aufbau weg, das barocke, kompakte, was Weber durchaus liebte, kam durch und nahm oft den Reiz der Blätter.Webers „Liebe zum Detail“ muß nicht unbedingt eklig sein, oft eher lustig im Gesamtaufbau des Bildes -auch wenn der Zufall die Rolle übernahm.
Weber war ein lustiger und geselliger Mensch, auch wenn andere Leute das Gegenteil behaupten: dann haben sie Weber halt nicht gekannt oder nur einen Kurzbesuch abgestattet. Wenn Weber eines nicht vertragen konnte, dann waren es Besucher, die unangemeldet ihn in Schretstaken besuchten. Er empfing sie und war durchaus freundlich und zeigte ihnen bzw. unterwies sie in sein Werk, jedoch merkte der Besucher sehr schnell -indirekt- dass er nicht willkommen war, denn Weber hielt mit seiner Meinung nicht zurück, dass er arbeiten möchte und dafür Ruhe gebrauche. Sehr schnell kam Weber zum Thema der Verkäufe und bat die Gäste ihre Wünsche aufzuschreiben, in der Hoffnung, dass damit der Besuch abrücken würde. Wenn dies nicht half, dann nahm Weber Zuflucht zu seinem „Kritischen Kunstkalender“, signierte ihn, legte häufig noch eine Lithographie hinein und übergab ihn als Geschenk des Hauses dem Besucher, damit er zu Hause in aller Ruhe sich die neuesten Graphiken anschauen und wenn er wollte, auch bestellen konnte-erwerben und besitzen war mit Fragezeichen zu versehen, denn Weber selbst hat die Post nie beantwortet, wollen mal sagen selten und ich bin sicher, viele Besucher haben ihre Bestellung nicht erhalten und haben als Erinnerung einzig und allein den Kalender- schön ordentlich signiert mit den als spitzen Degen gezeichneten P oder mit der kleinen Lithographie, die vielleicht handkoloriert ist.

Ja, diese unangemeldeten Besucher -was sollten sie anderes tun,denn wenn sie sich per Postkarte anmeldeten, dann kam die Absage, der Meister sei verhindert, stecke in Arbeit, sei verreist…man solle doch das Museum in Ratzeburg besuchen, dort hingen die neuesten Arbeiten, -was sollte der Mensch tun, wenn er den Meister sehen, mit ihm sprechen, ihm zuschauen wollte?, natürlich unangemeldet vorbeischauen. Ich habe es doch auch ähnlich gehandhabt, woraus eine fast zehnjährige Freundschaft erwuchs, die später in den Ausspruch Webers gipfelte „Sawitzky, Sie können zu jeder Tages- und Nachtzeit kommen, Sie stören mich nicht bei meiner Arbeit.“ – Ich habe diesen Ausspruch von Weber stets als Kompliment aufgefasst.
Die anderen Besucher, die gern gesehen waren in Schretstaken waren seine Freunde, die zahlreich waren: Literaten, die im Kalender oder in anderen Publikationen von Weber vertreten sind, Freunde der Griffelkunst wie Erich Arp, Kollegen oder Freunde und Mitarbeiter aus vergangener Zeit. In dieser Runde wurden auch die Ferien verbracht, die bei Weber stets mit Arbeit vermischt wurden, in Form von Zeichnugen. Ergebnisse solcher Ferien waren die Illustrationen zu Münchhausen und die spanischen Blätter und nicht zu vergessen die schwarze Ziege, deren Idee von einer Italienreise stammt.
Weber war kein Stadtmensch, er war dem Lande verbunden, wortkarg, scheu und bedächtig, nur ganz langsam taute er auf, auch hatte man den Eindruck, dass er seiner Familie gegenüber verschlossen blieb: gemeinsame Mahlzeiten, gemeinsame Fernsehnachrichten -alles. Nur seine Schwägerin scheint eine Ausnahme gewesen zu sein, vielleicht noch sein Enkel Alexander von seiner jüngsten Tochter, er war jedoch noch zu jung, um Weber zu verstehen und es blieb beim Selbstgespräch. Ja, Weber mag schon auf der einen Seite ein Waldschrat gewesen sein, wie Niekisch in seinen Erinnerungen schreibt, aber auf der anderen Seite haben wir, d.h. Schnoy-Peters-Sawitzky, ihn als liebenswerten Gastgeber und aus der Spontanität heraus als unternehmungslustigen älteren Knaben kennengelernt.Spaß und Freude hat Weber uns geschenkt und uns das Gefühl gegeben, dass wir ihm was bedeuten, Weber war für uns nicht Vaterersatz, er war Kamerad und Freund; von den Mädchen ließ er sich umarmend und küssend verabschieden, obgleich er 45 Jahre und älter war:
Weber taute zwar langsam auf, wenn aber, dann hielt dies sich näher Kommen eine Ewigkeit.
Freundschaften halten eine Ewigkeit: Bei A.Paul Weberwar es die Regel, da es keine Regel ohne Ausnaahme gibt, gilt dies auch für Weber.
Eine Freundschaft, die während meiner Zeit in die Brüche ging, war die mit Günther Nicolin, Studiendirektor irgendwo an einem Gymnasium westlich des Rheins, Verehrer von Webers Kunst und Mitbegründer des Webervereins zu Ratzeburg, hat gewiss zur Verbreitung von Webers Kunst Verdienste erworben und wurde von Weber wohlwollend in die Schar seiner Bekannten, vielleicht Freunde, aufgenommen. Jedoch der so steile Aufstieg von Herrn Nicolin wurde jäh unterbrochen, als er versuchte, Weber zu bewegen, ihm seine Biographie schreiben zu lassen. Doch Weber roch hier den Braten, sich auf seine Kosten zu profilieren und dieses hatte Weber gar nicht so gerne, denn wie schon gesagt, hielt Weber in allem was über ihn und von ihm gedruckt und verlegt wurde die Fäden bis zu letzt in seinen eigenen Händen, um eine Mitentscheidung zu behalten (dieses mußte auch Sebastian Haffner mit seinem Buch „Preussen ohne Legende“ erfahren, wo Weber die Illustrationen liefern sollte, ohne den Text zu kennen, Weber lehnte ab). Dies wäre bei einer Biographie zu Lebzeiten nicht möglich gewesen und schon gar nicht „bei einem Nicolin, diesem Jesuiten“, wie Weber es formulierte. Weber lehnte das Angebot Nicolins ab. Da dieser jedoch nicht locker ließ und partout die Biographie Webers schreiben wollte und immer Weber mit der Idee löcherte wurde Weber immer verärgerter und zorniger, so dass er Nicolin schliesslich per Rechtsanwalt verbot, nie wieder irgendeine Graphik von ihm zu benutzen bzw. zu veröffentlichen, was die Schreibwut über einen bildenden Künstler stark einschränkt. Waren noch im Katalog zu seiner Retrospektive zum 85. Geburtstag zwei Artikel von Günther Nicolin enthalten, findet man Nicolin in „Das graphische Werk“, verlegt bei Schirmer/Mosel, schon nicht mehr vertreten, obgleich „Das graphische Werk“ auf den Katalog aufbaut: seine Aufsätze flogen raus, erst nach dem Ableben Webers haben die Erben sich mit Nicolin geeinigt, was vielleicht sinnvoll war, da er eine starke Position in der Weber-Gesellschaft inne hatte bzw. hat.
Eine Biographie Webers steht allerdings noch aus. Weber war ein Mensch, hatte Fehler, Unzulänglichkeiten und Schwächen, reagierte emotional und lebte es auch aus, nur in seiner Kunst ist er klar und unbestechlich, gradlinig und genial.
Wie in der Malerei Weber seine Vorläufer in van Gogh und Hodler sieht -beides Einzelkämpfer und keiner der damaligen Kunstrichtungen zu zurechnen, so betrachtete Weber sich in seinen Zeichnungen als Nachfahre in gerader Linie Goya, Grandville, Daumier verpflichtet, nicht abgekupfert, sondern Themen werden neugestaltet, mit eigenem Biss, dem Weberschen.
Webers Zeichnungswerk hat mit den Zeitzeugen seiner Zeit- Barlach, Zille, Kollwitz – wenig gemeinsam, Weber war kein oder nicht nur Sozialkritiker oder Millieuzeichner, seine Themenwahl umfasst globale Aspekte, Momente, Situationen, Schwächen und Gegebenheiten, die mit Hilfe seiner Kaarikatur, die Vergangenheit, Gegenwart bishin auf die Zukunft projezierte, das Ergebnis zu einer Geschichte werden läßt.
Ja, nun verstarb Weber November 1980 und er wird weiter leben in seinem Werk, welches sehr umfangreich ist und für meine Begriffe nur in Themenbereiche sich unterteilen läßt.

Hermann Sawitzky
Hamburg 2008/18