„Die Große Freiheit ist es nicht geworden.
Es hat beim besten Willen nicht gereicht.
Aus Traum und Sehnsucht ist Verzicht geworden.
Die Angst ist die erste Bürgerpflicht geworden.
Aus Sternenglanz ist Neonlicht geworden.
Die große Freiheit ist es nicht geworden,
Die kleine Freiheit – vielleicht.“
Erich Kästner
Diese Zeilen schrieb Erich Kästner 1951 über den westlichen Teil Deutschlands. Wir, die Bundesbürger, dürfen wieder zittern, wenn wir frieren…. Obgleich Kästner voller Ironie und Spott seinen Kübel Schmutz auf die bundesrepublikanische Freiheit ausschüttet, enthält seine Satire über unsere Freiheit für die allgemeine Freiheit eine tiefe Bedeutung, denn wir dürfen wieder…, jedoch für viele unserer Landsleute und für alle Völker der Ostblockstaaten gab es nicht diese kleine Freiheit: sie dürfen nicht zittern, wenn sie frieren…., denn hier bestimmt immer noch der Staat , was die Gesellschaft darf und hier hat keiner zu frieren, auch wenn im Winter nicht geheizt werden kann, da die Kohle fehlt…, denn Missstand gibt es im Sozialismus nicht und damit basta – die Völker im Ostblock blieben wie unter dem braunen Faschismus nun unter dem roten Faschismus (frei nach Otto Rühe und Erich Wollenberg) Untertanen, Leibeigene wie im Feudalstaat.
„Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei und wird er in Ketten geboren…“, so Schiller oder „Die Gedanken sind frei…“, so ein deutsches Volkslied oder „Die Freiheit eines Christenmenschen“, eine Abhandlung von Martin Luther – vom frühen Mittelalter bis hin in die Gegenwart braust einem die Freiheit entgegen. Geformt, gerufen, definiert oder ausgeführt von der Blüte der Nation, von den Wissenschaftlern, von den Reformern, von den Künstlern oder vom einfachen Volke leuchtet immer wieder die Freiheit zum Lichte empor, gleich einem Mythos.
Was heiß Freiheit? Warum erscheint einem Freiheit so wichtig? Freiheit heißt sich entscheiden können: ich selber über mein Leben, über meine Entwicklung, über meine Gefühle, über meine Bedürfnisse, über mein tägliches Einerlei – vollständig unabhängig von anderen Personen oder Institutionen. Meine persönliche Freiheit hat dort ihre Grenzen, wo die Freiheit des Anderen anfängt. Kompromisse sind zulässig und nötig, wenn es um das Individuum geht. Pardon wird nicht gegeben, wenn Institutionen – hier der Staat – die persönliche Freiheit des einzelnen Menschen für seine Zwecke einengen.
„Hündischer Gehorsam verträgt sich nun einmal nicht mit menschlicher Entwicklung oder auch nur für längere Zeit mit der menschlichen Existenz. Entwicklung verlangt Freiheit und Selbstbestimmung, obwohl darin die Möglichkeit von Sünde und Irrtum,…und Scheitern beschlossen liegt. Das ist der Preis, den die Lebenden zahlen müssen, um die Fesseln zu zerbrechen.“ So schreibt Lewis Mumford in seiner Abhandlung über „Die Stadt“. Wie diese Aussage von Mumford zutrifft, zeigen die augenblicklichen Vorgänge von Auflösungserscheinungen im Ostblock: das Volk, die Völker stehen auf, wachen auf und zerbrechen ihre Fesseln, die zum Teil über siebzig Jahre hielten. Hat Karl Marx, hat Lenin, hat Stalin hier einen Gedankenfehler begangen???
Freiheit ist für alle Völker gleich wichtig, wie die wiederkehrenden Revolten und Revolutionen in der Geschichte der Menschheit zeigen. Es gehört schon eine große Portion Dummheit und Selbstüberschätzung dazu, von tausendjährigen Reichen zu träumen.
Fortschritt und Wissenschaftler, Reform und Reformatoren, Kunst und Künstler sind von der Freiheit abhängig. Denn nur dort, wo Freiheit herrscht, kann das große geschaffen werden. Denn die Freiheit bürgt dafür, dass der Geist des Menschen weder durch eine Ideologie eingeengt noch durch das Verlangen der Mächtigen – Staat und Kapital – in eine Richtung, und zwar der ihrigen, gelenkt wird. Ich behaupte nicht, dass Freiheit und Macht sich ausschließen müssen, ich sage lediglich, dass die Mächtigen durch ihre Macht die Freiheit unterstützen sollten, statt sie zu unterdrücken, was in der Regel der Fall ist.
Freiheit bedeutet, sich frei entscheiden zu können. Auf den Künstler übertragen bedeutet dies, sich frei bewegen, sich äußern, frei agieren, frei darstellen zu können, damit seine Kreativität sich frei entfalten kann, damit sein Werk durch Form und Inhalt Kunst und nicht nur Fassade ist, wie Janos Enyedi sagen würde.
Dpa-Meldung vom 24.07.90
„Rolf Liebermann: Kunst ist links“
„Ich glaube Kunst ist links. Sie rüttelt an den Konventionen, und Konvention ist rechts…ich kenne keinen Künstler von Qualität, der rechts ist“ …Sein Kunstverständnis begründete Liebermann damit, dass es „keine Kunst ohne Provokation gebe, siehe Schiller, Goethe oder Beethoven, ungeheure Revolutionäre….“ Er sei, so Liebermann, immer ein absolut überzeugter, sozial engagierter Mensch gewesen. „Ich war links, als ich sehr jung war. Die Beziehung wurde etwas kälter, als die Russen Finnland überfielen. Da waren unsere Ideale plötzlich in Frage gestellt.“ Sein soziales Engagement sei geblieben, betonte Liebermann. (zitiert nach Frankfurter Rundschau vom 25.7.90)
Es stimmt einen schon traurig, wenn ein bekannter Komponist wie Liebermann so etwas Undifferenziertes von sich gibt. Entschuldigung wäre vielleicht sein hohes Alter, vielleicht ist Liebermann ein „ewig Gestriger“. Ist Kunst links? Das Wort „links“ steht hier eindeutig für Sozialismus oder Kommunismus im Sinne von Marx. Obgleich er das Wort nicht definiert, stellt er den Bezug zu den Russen her. Arthur Miller fragt in „Zeitkurven“, ob es überhaupt links Kunst gibt und kommt zum Ergebnis, dass es eine sozialistische Kunst nicht geben kann. Wenn überhaupt, kann der Künstler sich engagieren für eine politische Richtung. Dies ist dann die freie Entscheidung des Künstlers. Millers Auffassung kann man zustimmen, denn der Künstler soll sich in seinem Schaffen weder von der Gesellschaft noch von Ideologien noch von Konventionen einengen lassen. Deshalb muss jedoch nicht der Künstler „links“ stehen. Liebermann wirft hier alles durcheinander links, sozial engagiert, Provokation, Revolutionär, – alles unverdaut, unreflektiert.
Der Künstler darf alles, soll all das benutzen, was der einfache Mensch nicht ohne weiteres darf, da der einfache Mensch sich verkaufen muss. Der Künstler jedoch verkauft sein Werk, sein künstlerisches Schaffen, seine Kreativität.
Jedoch auch der Künstler wird leider oft erkennen, dass auch ihm Grenzen gesetzt sind, wenn er sich erdreistet, die Freiheit voll auszuschöpfen. Eine Entfaltung seiner ganzen Persönlichkeit ist nur noch dort möglich, wo der Rand der Gesellschaft sich befindet. Hier kann er, lässt die Gesellschaft ihn arbeiten, hier darf er leiden, hier darf er die Große Kunst machen. Erich Kästner würde reimen:
…und die Künstler dürfen wieder hungern,
wenn sie das Nonkonforme schaffen.
Dies ist der Preis der Freiheit.
Hermann Sawitzky – Hamburg, den 25.7.1990