Wären nicht Picasso und Braque 1911 mit der Collage an die Öffentlichkeit getreten, auf die Idee wäre gewiss viele Jahre später erst auch R. Brent Crocker gekommen, die Collage als künstlerische Ausdrucksmöglichkeit einzusetzen. Crocker benutzt das Klebebild aus verschiedenen Materialien seit seiner ersten Ausstellung 1987 in Hamburg und ist daher dem Publikum überwiegend als Collagenkünstler bekannt.
R. Brent Crocker, geboren 1941 in Baltimore, Maryland, USA, studierte Kunst und Kunstgeschichte an der Yale University, am Maryland Institute Collage of Art und an der University of Illinois, wo er seine Ausbildung 1967 beendete. Zu seinen Lehrern gehörten die Meister der US amerikanischen Abstrakten expressionistischen Periode, die da wären: Fairfield Porter, Al Held, David Hare, Jon Schuller und Jack Tworkov.
Heute ist Crocker ordentlicher Professor an der Perdue University und lebt in Lafayette, Indiana, USA.
Sein Lebenslauf und seine Ausbildung zeigen die typischen Merkmale eines WASP: an der Ostküste geboren und an Nobeluniversitäten ausgebildet, gehört Crocker zu der Minderheit in den USA, die eine typische amerikanische Erziehung aber eine europäische Bildung erhalten haben, was dazu führt, dass Crocker zum einen ein überzeugtes Selbstvertrauen besitzt, was für fast alle Amerikaner zutrifft, jedoch in der Regel gepaart mit Naivität und bei Europäern oft Verwunderung, ja Sprachlosigkeit hervorruft; hier bei Crocker ein Teil seiner Persönlichkeit ausmacht, da das Selbstvertrauen zum anderen durch vertiefte Bildung unterstützt wird, welches dem europäischen Intellektuellen sehr nahe kommt.
Im Spannungsfeld zwischen amerikanischer Erziehung und europäischer Bildung ist Crockers Kunst anzusiedeln – amerikanischer Unverdrossenheit und europäischer Theoretisierung oder R. Brent Crickers Begegnung mit der Alten Welt.
Zeigten Crockers Collagen 1987 noch reine Kompositionen, die man abstrakt und doch gegenständlich, träumerisch und doch intellektuell, farbenfroh und doch dezent, groß im Format und doch nicht gewaltig, beschreiben könnte, die sowohl formenreich als auch ideenreich waren, wirken die neueren Collagen der „Harmonic C Suite“ still und ruhig in den Farben, übermitteln verschlüsselte Botschaften, die dem Betrachter ein in sich Vertiefen abverlangen. Es ist jedoch keine nur intellektuelle Spielerei des Künstlers, sondern eine Philosophie der bildenden Kunst.
Mit seinem Collagen-Zyklus „The Dematerialization of the West“ aus dem Jahre 1988 vollzieht Crocker eine Wende von impressiven zum expressiven Stil. Waren seine Aussagen früher eher lyrisch, sind sie jetzt eindeutiger. Die Aufteilung der Fläche und die benutzten Materialien geben diesen Collagen eine Dreidimensionalität – zwischen Objekt und Flächenmalerei – die gekonnte Hinzufügung von zeichnerischen Momenten durch Feder und Pinsel erlauben einen Vergleich mit Max Ernst. Die gesamte Serie besticht durch Kraft, Dynamik und Ausstrahlung.
Der expressive Stil findet sich auch in den Collagen zu „Das Märchen“ von Goethe. Hier zeigt Crocker was die Collage im Gegensatz zu anderen Techniken bieten kann:
Komposition, Vermischung von Techniken, die Tiefe des Bildes bestimmen als auch die Aufbrechung des Bildes, sowie das Herausfallen – philosophisches Suchen nach Sinn und Zeit durch die Bildende Kunst.
Diente „Das Märchen“ von Goethe Crocker noch als Einstieg und Versuch, die Philosophie in die Bildende Kunst einzubringen, so kann der Betrachter die neusten Collagen zum Thema „Türen des Taoismus, Türen der Quantentheorie“ als Fortsetzung betrachten:
Lebenslinien, Lebenskreise bzw. Rad des Lebens die immer wieder auftauchenden Motive in verschiedenen Variationen bestimmen in ihrer Farbgebung die Leichtigkeit der fernöstlichen Philosophie – die Harmonie von Mensch und Welt, ein Ziel, was nicht im Fortschreiten gesucht wird, sondern das man durch Rückwendung zum Ursprung aller Dinge zu finden hofft; während bei den Blättern, die Heidegger gewidmet sind, der Sinn, die Ursache selbst, die Schwere zum Ausdruck kommt – was die Welt im Innersten zusammenhält?
Crocker hat stets schwierige Themen angepackt und ohne Neid kann man feststellen, stets sind sie ihm gelungen. Crocker versteht sich als abstrakter Maler, obgleich er auch in seiner langen künstlerischen Tätigkeit den Körper und die Landschaft gemalt hat.
Während seiner 25 jährigen künstlerischen Laufbahn hat Crocker über 300 Ausstellungen bestückt, wobei über 60 Einzelausstellungen waren. Sein Bekanntheitsgrad geht über die USA hinaus, denn in Europa als auch in Australien kennen die Kunstfreunde seinen Namen und seine Werke.
Hermann Sawitzky
Hamburg, den 25.2.91